Eine Kurzgeschichte ohne Ende
„Eigentlich
sind wir ja hier um etwas zu lernen, nicht um gut auszusehen. Dann hört
doch da hinten bitte endlich auf, euch im Spiegel zu betrachten, und konzentriert
euch auf die Beispiele die euch gegeben werden. Das ist nämlich so:
Ich kann euch zwar eines immer erklären, kaum ist eine Kleinigkeit
daran verändert, glaubt ihr schon ihr kennt euch nicht mehr aus,
und versucht erst gar nicht auf den Zusammenhang zu kommen. Das brächte
halt Sinn in die Sache.“
Damals wußte er ja wahrscheinlich gar nicht so richtig wovon er
redete, sowie auch wir jetzt eigentlich nicht viel mehr als er wissen,
eines aber wissen wir genau, wir brauchen keine Beispiele mehr, wir sind
uns unser eigenes. Ich sitze hier in einer mit Wissen vollgestopften Schule
des Jahres Schnee und wünschte das ich das alles schon viel früher
erlebt hätte. Mein Schweigeimplantat tut weh, und ich weiß
nicht einmal in welchem Jahr ich mich befinde. Eigentlich kann es mir
ja auch egal sein, ich habe ja nur meinen Auftrag möglichst gut zu
erfüllen, und wahrzunehmen so viel ich kann. Nur weiß ich nicht
einmal, ob ich überhaupt wieder zurück will, was mich aber eigentlich
nicht lange stören sollte, da sie mich sowieso holen werden. Ich
bin von keiner Kommission der Zukunft die nach irgendwelchen Wahrheiten
in der Vergangenheit forscht, hierhergeschickt worden, nein ich bin freiwillig
gegangen, weil ich geglaubt habe einiges Interessantes erfahren zu können.
Sollten sie mich auch wirklich zurückholen, müßte ich
ihnen leider mitteilen, ernsthaft zu erwägen das mit dem Schweigegelübte
wörtlich zu nehmen, und wie leid mir das täte. Ich könnte
natürlich auch gezwungen sein, niederzuschreiben, was ich so erlebe,
wäre aber wahrscheinlich leicht, es so zu schreiben, daß sie
es nicht ernst nehmen würden. Nein, ich könnte ja ein ganz normaler
Direktor einer unserer wie ich glaube besten staatlichen Integrationsschulen
sein, und glücklicherweise die Möglichkeit bekommen haben, im
neuen Simulationsraum einen Schultag der Vergangenheit mitzuerleben. Da
wäre ich sogar lieber kein Direktor geworden, wenn das mit dem Simulationsfernsehen
wirklich wahr wäre und ich einfach einen Knopf drücken und abschalten
könnte. Vielmehr habe ich es leider nicht in der Hand, den Knopf
zu drücken, sondern muß darauf warten, bis man es für
mich macht.
Endlich legt er sein Federpenal auf die Seite und rückt es zurecht,
tippt ein paar mal mit den Fingern darauf, er ist fertig und will gehen.
Ich muß also nur den günstigen Moment abwarten, und sein Wasserglas
nehmen. Er trinkt übrigens immer Wasser. Es hat mich auch relativ
viel Zeit gekostet, überhaupt herauszufinden, was er warum und vor
allem auch gewöhnlich und oft genug macht. Das Federpenal hätte
ich ja übrigens auch nehmen können, das wäre sicherlich
leichter zu transportieren gewesen. Sie wollten eigentlich nur ein Beispiel,
das sollen sie haben.
Der
Lehrer hat es schon immer gewußt, selbst aber nicht ganz wahrgehabt
oder wahrhaben wollen. Er hat es seinen Schülern sogar noch nachdrücklich
gesagt. „Vergeßt nicht, daß ihr zumindest ein bißchen
abstrakt denkt. Dies zu lernen ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.
Ich muß versuchen aus mehreren Beispielen, das herauszuholen, was
ihnen gemeinsam ist, kann dadurch auf eine Struktur, einen Zusammenhang
kommen, der mir eine Anleitung für weitere Beispiele sein kann.“
Habe ich dann ein Beispiel, das mir völlig unbekannt erscheint, muß
ich die Fähigkeit entwickelt haben, diese Struktur auch in diesem
Beispiel zu erkennen. Nur so wird es lösbar sein. Beispiele werden
uns viele geliefert, den Zusammenhang immer im Auge zu behalten ist dabei
äußerst schwierig. Man erlebt es immer wieder, daß einem
dies nach Erklärung, oder später auch selbst erst dann völlig
klar und augenscheinlich wird. Mittlerweile wissen wir ja, daß auch
unser Leben eine einzige Anhäufung von Beispielen ist, bei denen
dies genauso funktioniert. Erst wenn es zu Ende ist, wird einem der Sinn
klar, weil sich erst dann herausstellt, was die Grundstruktur aller Beispiele
ist, und in welchem Zusammenhang sie miteinander stehen. Während
dem Leben müssen wir uns darauf beschränken, Ähnlichkeiten
zwischen den Dingen wahrzunehmen, und in nach außen hin völlig
unterschiedlichen Beispielen etwas wiederzuerkennen, von dem man zu diesem
Zeitpunkt noch gar nicht weiß was es ist. Wir brauchen uns zum Glück
nicht mehr versuchen zu erklären, was uns Zufall überhaupt bedeuten
könnte. Das unsere Welt so aussieht wie sie aussieht, das Menschen
tun was sie tun, liegt eben nur scheinbar in des Zufalls Hand. Dieser
kann genannt werden wie er will, er ist nicht, was wir uns eigentlich
darunter vorstellen. Kann ich nämlich zwischen Dingen, deren Wesen
wir nur auf den Zufall zurückführen, etwas wiedererkennen, was
mir aus anderen Dingen bekannt vorkommt, dann bin ich der Struktur des
sogenannten Zufalls wieder etwas näher gekommen. Das Wichtigste dabei
ist, daß man das richtige Denken beherrscht. Richtig ist es dann,
wenn man nicht stetig daran arbeitet sich seine Realität, sein Leben
und sein Umfeld durch Gedanken zu erklären, sondern man sich seine
Gedanken durch die Realität zu erklären sucht.
Eine Grundstruktur dabei könnte sich in dem finden lassen, das auch
Dinge ein bestimmtes Wesen haben, das zu uns nur durch seine Existenz
selbst spricht, und sich nicht mit vereinfachenden Worten oder sonstigen,
durch die begrenzten Möglichkeiten unserer Sinne bedingten Vereinfachungen
zufriedengibt.
Dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich nur mehr an sie appellieren,
auch dies nicht zu wörtlich zu nehmen, sondern es einfach wahrzunehmen,
und erst in gegebenem Zusammenhang als das was es ist, nämlich ein
Beispiel, zu benützen. Ich danke Ihnen vielmals. Auf Wiedersehen.“
War
eigentlich ein ganz guter Vortrag, denn reden kann er schon, aber ob er
das, was er hier von sich gibt überhaupt selbst so richtig glaubt?
Ich meine, sicher kann ich mir ja nie sein, aber irgendwie mutet es mir
schon ein bißchen nach Kontemplaria an. Die verkaufen dir ja auch
wirklich alles, bald werden sie Zufriedenheit über unsere Bildschirme
schicken. Die Errungenschaft selbst ist es ja nicht gerade, gewußt
hätte ich das eigentlich auch, ich habe es nur noch nie so richtig
gemerkt, und er hat es mir jetzt eben gesagt. Was will er also überhaupt
mit seinen überphilosophischen Weisheiten, ich hab das alles schon
immer gelebt, mit einer gesunden Intuition brauche ich mir nicht den Kopf
zu zerbrechen wie die Dinge stehen sollten oder könnten.
„Ich habe gerade wieder so dazugelernt, wie hat es dir denn gefallen?“
sage ich freundlich zu meiner Sitznachbarin, die mich nur mit großen
Augen und offenem Mund anstarrt. „Na, ja mir fehlen noch etwas die
Worte, ich habe aber einige Antworten gefunden, und finde es äußerst
interessant, daß es diese Verbindungen wirklich gibt.“
Bis sich unsere Sitzreihe etwas lichtet, wird wohl noch einiges an Zeit
vergehen, darum frage ich sie, ob sie denn auch eine von den Gratiskarten
aus dem Preisauschreiben der Einkaufsautomaten gewonnen habe. Sie kaufe
nur Naturprodukte und kenne ein Geschäft, wo man zwar die Automaten
noch nicht habe, aber dafür mehr einzelne Zutaten und viel Natürliches
kaufen könne. Die Karte habe sie in ihrer Funktion als Bankangestellte
von einer Belegegesellschaft geschickt bekommen, und eigentlich schon
geglaubt das sie hier nicht angekommen sein dürfte, weil der Schranken
nicht gleich aufgegangen war.“ Aha. Hat dann doch funktioniert,
was?“. „Glücklicherweise, denn an der Kassa sind sie
ziemlich teuer wie ich weiß“. „Dafür braucht man
sich dort aber auch nicht anzustellen, schönen Abend noch, vielleicht
sehen wir uns ja wiedermal.“ Irgendwie hatte ich auch das Gefühl
ich würde sie wiedersehen, konnte mir aber nicht ganz erklären
warum ich das eigentlich sollte.
Ob wir uns denn vielleicht einmal treffen könnten, konnte ich nun
auch nicht mehr fragen, denn sie war inzwischen hektisch in Richtung vordere
Ausgänge losgeeilt.
Ich war ja eigentlich immer ein sehr zufriedener Mensch. Die Ängste
und Sorgen vieler meiner Freunde hielt ich hauptsächlich für
überbewertete Nichtigkeiten, aus denen man vielmehr machen konnte,
als sie überhaupt waren. Meine wiederum konnten mich natürlich
schon eine Zeit lang beschäftigen. Wie auch immer, sie kann ja ruhig
einmal davonlaufen. Wenn sie interessant ist, werde ich sie schon wieder
einmal treffen. Auch sonst habe ich nicht das Problem damit. In nächtelangen
Diskussionen bemerkten wir unsere gute Bildung, den Wohlstand, den wir
genießen und vor allem auch unser politisches System, das dies alles
mit sich bringt. Jeder nahm sich zwar in gewisser Weise wichtiger als
er war, eigentlich hatte nur er selbst gewußt, wie sehr wir diese
Dinge wirklich genossen, das wir aber alle nur eine gemeinsame Feststellung
machten, fiel nie wirklich auf: uns ging es gut. Es hat sich auch alles
so wohlgefällig weiterentwickelt.
2
Ich
hatte es noch nicht einmal ganz verstanden, ich wußte nur das ich
ihm nachlaufen mußte, es durfte mir nicht noch einmal passieren,
und er konnte mir nicht nocheinmal entwischen.
Das tat ich auch, und zwar mit aller mir möglichen Kraft. Er ist
ja schließlich der Meister seines Faches, ihn zu sehen allein genügte
mir schon nur dafür einige Minuten über das nachzudenken, das
ich die letzte Zeit immer suchte, aber vergessen zu haben glaubte. Er
konnte es in mir wieder hervorrufen, und mich aufs Neue begeistern und
verwundern. So auch diesmal wieder.
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